Frauenhaus am Anschlag

Häusliche Gewalt in MV nimmt weiter zu

Artikel SVZ | Hannes Henffler | 30.01.2023: Seit Jahren steigt die Zahl der Opfer in den eigenen vier Wänden. Das sorgt vor allem in den Frauenhäusern für Ausnahmesituationen. Die Schweriner Leiterin Liane Dommer berichtet von ihrer Arbeit.

Gewalt, Bedrohung und sexueller Missbrauch – was einige Frauen in MV in den eigenen vier Wänden erleben müssen, ist für die meisten nur schwer vorstellbar. Aus Angst bleiben viele Frauen bei ihrem gewalttätigen Partner. Doch einige schaffen den Absprung, fliehen aus der gemeinsamen Wohnung und retten ihre Kinder vor dem Vater. Zuflucht finden sie in den Frauenhäusern. Beispielsweise in Schwerin.

Die dortige Leiterin Liane Dommer kennt diese Geschichten. Bis heute berühren sie die Schicksale der Frauen. „Oft stehen sie mit drei Kindern an der Hand vor der Tür. Manchmal ohne Papiere und Wechselkleidung“, berichtet sie. Normalerweise werden die Betroffenen aufgenommen und können dann mehrere Wochen im Frauenhaus untertauchen, werden beraten und suchen sich eine neue Wohnung. Doch mittlerweile muss Liane Dommer schweren Herzens immer mehr Frauen ablehnen. Das habe mehrere Gründe. Im Schnitt hält sich eine Frau in der Unterkunft rund 35 Tage auf, ehe sie wieder auszieht. Doch mittlerweile werde die Aufenthaltsdauer immer länger. „Heute dauert es meist bis zu sechs Monaten, bis eine Frau uns wieder verlässt.“ Das liege vor allem daran, dass es immer schwieriger werde, eine geeignete Wohnung zu finden. Insgesamt stehen nur zwölf Plätze für Frauen und ihre Kinder zur Verfügung. Der Standort des Frauenhauses ist geheim. Schließlich sei die Gefahr zu groß, dass ehemaliger Partner ihre Frauen aufsuchen und bedrohen.

Der zweite Grund: Immer mehr Frauen bitten um Hilfe, wenden sich an Liane Dommer und ihre Kollegen im gesamten Land. „Das Thema häusliche Gewalt wird immer bekannter.“ Dadurch würden sich auch mehr Frauen trauen, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Gleichzeitig habe Liane Dommer das Gefühl, dass die häusliche Gewalt in MV stetig zunehme. Doch ist das so? Laut Innenministerium wurden im Jahr 2019 insgesamt 1756 Opfer von häuslicher Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. 2020 waren es schon 1898. Im Jahr 2021 stieg die Zahl erneut – auf 1957. Die Daten für das Jahr 2022 liegen laut Innenministerium noch nicht vor. „Die Zahlen für 2022 werden im ersten Quartal diesen Jahres veröffentlicht. Eine steigende Tendenz wird erwartet“, sagt Pressesprecherin Marie Boywitt.

Schon seit Corona-Zeiten sei das Schweriner Frauenhaus fast dauerhaft in Vollbelegung. Zudem bietet das Team um Liane Dommer auch ambulante Beratung für diejenigen an, die nicht einziehen wollen oder können, aber dennoch Hilfe benötigen. Und auch hier würden sich immer mehr Frauen melden. Gerade in der Corona-Zeit seien sehr viele Betroffene zu diesen Beratungen gekommen.

Um das Problem anzugehen, gebe es im Land bereits mehrere Stellen, an die sich Opfer häuslicher Gewalt wenden können. Beispielsweise die Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt, den Landesfrauenrat und diverse Beratungsstellen im ganzen Land.

Zudem hat das Innenministerium dafür gesorgt, dass seit dem 5. April 2022 in jedem Fall häuslicher Gewalt eine „Datenübermittlung an die zuständige Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking zu prüfen ist.“ Bedeutet: Die Polizei meldet die Fälle beispielsweise den Frauenhäusern und gibt Daten zu der betroffenen Frau durch, sofern diese ihr Einverständnis gibt. Laut Marie Boywitt helfe das dabei, den Frauen zu helfen. „So sind sie schon einmal im Netzwerk drinnen und können gegebenenfalls auch von den Frauenhäusern kontaktiert werden.“

Laut Liane Dommer müsse allerdings noch mehr getan werden, um häusliche Gewalt schon im Vorfeld zu verhindern. Das Stichwort ist Präventionsarbeit. Das werde laut Dommer auch bereits getan, allerdings viel zu wenig. Die Frauenhäuser hätten zu wenig Personal, um neben der eigentlichen Arbeit umfangreiche Präventionsarbeit zu leisten, sagt die Schweriner Leiterin. Doch nur so könnte der Trend umgekehrt werden.

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